Banner IN_CONTEXT: Colonial Histories and Digital Collections

Über IN_CONTEXT

Das Projekt

IN_CONTEXT ist ein auf zwei Jahre angelegtes Projekt mit dem Ziel, eine Finanzierung für die Digitalisierung von Bibliotheksbeständen aus kolonialen Kontexten und für den Aufbau einer virtuellen Forschungsumgebung einzuwerben. Diese soll mittelfristig als eine zentrale Plattform zur Erforschung historischer Quellen dienen, indem sie relevante Sammlungen in Deutschland und von internationalen Partnern präsentiert und zugänglich macht. Das Projekt ist an der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) angesiedelt und wird von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) gefördert.

Die öffentlichen Debatten über den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit gewinnen zunehmend an Dringlichkeit und reichen von Diskussionen über die Rückgabe von Museumsobjekten bis hin zur Umbenennung von Institutionen oder Straßen. Kulturerbeeinrichtungen überdenken zunehmend ihre kolonialen Verflechtungen. Im Zuge der Anerkennung ihrer Beteiligung am globalen, kolonialen Projekt werden wichtige Fragen zu den Praktiken der Gestaltung und Verbreitung von Wissen im Prozess des Sammlungsaufbaus in Bibliotheken, Archiven oder Museen aufgeworfen. Die SBB spielte vor diesem Hintergrund seit dem 17. Jahrhundert eine zentrale Rolle bei der Erwerbung von Druckschriften, Manuskripten, Nachlässen, Karten und Fotografien. IN_CONTEXT identifiziert somit Bestände, die sich auf die kolonialen Verflechtungen der Bibliothek beziehen.

Mit der Verwendung des Begriffs „koloniale Kontexte“ übernimmt das Projekt eine breite Definition von Kolonialismus. Koloniale Kontexte umfassen somit all jene Bestände, die sich auf formelle und informelle Formen kolonialer Herrschaft beziehen. Dazu gehören auch Sammlungen, die koloniale oder imperiale Ideologien und Praktiken widerspiegeln, wie z.B. rassistische Vorstellungen von kultureller Überlegenheit gegenüber ethnischen Minderheiten und die Art und Weise, wie diese zur Rechtfertigung von Formen der Ausbeutung und Unterdrückung verwendet wurden.

IN_CONTEXT greift somit gegenwärtige Debatten über koloniale Verflechtungen auf und trägt zu einem Prozess der institutionellen Reflexion bei, indem Praktiken des Sammlungsaufbaus hinterfragt werden, ein digitaler Zugang zu historischen Materialien geschaffen wird und in enger Zusammenarbeit mit Institutionen, internationalen Partnern und Communities of Interest eine virtuelle Forschungsumgebung konzipiert wird.

Ziele

Identifizierung von Bibliotheksbeständen aus kolonialen Kontexten in der Staatsbibliothek zu Berlin für die Digitalisierung
IN_CONTEXT erhebt den Umfang der kolonialgeschichtlichen Quellen der SBB für die Digitalisierung. Darüber hinaus wird das Potential für zukünftige Projekte in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie mit weiteren nationalen und internationalen Partnern sondiert.

Erarbeitung eines Konzepts für die Entwicklung einer virtuellen Forschungsumgebung
IN_CONTEXT entwirft eine virtuelle Forschungsumgebung, die als Plattform für Bestände zur Geschichte des Kolonialismus dienen soll. Im Rahmen dieser webbasierten Plattform können Nutzende zukünftig kollaborativ arbeiten und Quellen und Sammlungen mit Hilfe digitaler Tools untersuchen. Der Austausch mit Expert:innen und Wissensträger:innen, die mit kolonialem Beständen in Verbindung stehen, ist für den Erfolg des Projekts entscheidend, um angemessene Datenstrukturen und Metadatenstandards zu gewährleisten. Auf diese Weise will sich das Projekt in Debatten über ethische Implikationen der Datenmodellierung, Designentwicklung und Barrierefreiheit einbringen.

Zusammenarbeit mit internationalen Partnern und Communities of Interest
IN_CONTEXT schafft durch Workshops, Austauschformate und weitere Kooperationen ein Netzwerk aus wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren aus Kulturerbeeinrichtungen, Forschungseinrichtungen und der Zivilgesellschaft. Diese Zusammenarbeit ist Voraussetzung, um Wissen über Sammlungen offen zu teilen und mit sensiblen Beständen angemessen umzugehen. Auf diese Weise werden ethische Dimensionen der Digitalisierung von Sammlungen mit Bezug zur Kolonialgeschichte reflektiert. Das Projekt zielt darauf ab, weitere Untersuchungen zu den Beständen und der kolonialen Vergangenheit Bibliothek anzuregen.

Kontaktieren Sie uns!

Wir freuen uns auf Anregungen und Gespräche über Kolonialgeschichte, Digitalisierung, Kolonialismus und die Entwicklung digitaler Infrastrukturen.

Projektleiterin: Larissa Schmid
Wissenschaftliche Mitarbeiter: Lars Müller und John Woitkowitz

Sie erreichen uns unter in_context@sbb.spk-berlin.de

FAQs

Unser Hauptziel ist eine erfolgreiche Drittmittelakquise, um die Digitalisierung von Bibliotheksbeständen aus kolonialen Kontexten und den Aufbau einer virtuellen Forschungsumgebung, zu realisieren. Mittelfristig soll die virtuelle Forschungsumgebung zu einer zentralen Plattform zur Erforschung von Quellen zu diesem Themenfeld ausgebaut werden.

Der Begriff „koloniale Kontexte“ umfasst ein breites Feld an historischen Kolonialismen und deren Fortwirken in heutigen Gesellschaften. Für das Projekt IN_CONTEXT stehen jene Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin im Zentrum, welche Wissenschaftler:innen und Interessierten die Erforschung der Geschichte des Kolonialismus ermöglichen und reflektiert somit auch die historische sowie gegenwärtige Bestandsentwicklung der SBB.

Zunächst können Bestände identifiziert werden, die in kolonialen Kontexten (formelle oder informelle) erworben wurden. Daneben gibt es Bestände, in denen sich koloniales Denken widerspiegelt und die als Quelle für Prozesse des Kolonialismus relevante Aussagekraft haben. Die Spannbreite liegt hier von Reiseliteratur aus dem 18. Jahrhundert über staatliche koloniale Verordnungen bis hin zu kolonialrevisionistischer Rezeptionsliteratur. Aufgrund der Sammlungsgeschichte der SBB legen wir einen zeitlichen Schwerpunkt auf die Bestände des Kaiserreichs (Sondersammelgebiet).

Die Bewertung bibliothekarischer Bestände vor dem Hintergrund „kolonialer Kontexte“ ist ein neues Feld. Für unsere Arbeit bietet der Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten des Deutschen Museumsbundes eine erste Orientierung. Um die Kategorie „koloniale Kontexte“ für die Arbeit im Umgang mit historischen Beständen in Bibliotheken weiter zu schärfen, organisieren wir vom 6. bis 7. November 2023 den Workshop „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“ in Kooperation mit dem dbv und dem DZK. Den entsprechenden CfP finden sie hier.

Der Quellenkorpus des Projekts umfasst verschiedene Materialgattungen. Vorrangig konzentrieren wir uns auf Druckschriften des SBB-Hauptbestands. Für den Zeitraum zwischen 1871 und 1912 unterhält die SBB hier einen Sondersammelauftrag im Rahmen der Sammlung Deutscher Drucke (SDD). Des Weiteren sichten wir Bestände aus verschiedenen Sonderabteilungen der Bibliothek, wie z.B. Manuskripte, Nachlässe, Zeitungen, Karten, Partituren oder Fotografien.

Bei den zu digitalisierenden Materialen gehen wir in unterschiedlichen Stufen vor. In einem ersten Schritt gleichen wir ab, welche Bestände in der SBB/SPK oder in anderen Einrichtungen bereits als Digitalisat vorliegen und identifizieren Lücken, die durch unser Projekt geschlossen werden sollen.

In einem ersten Schritt konzentrieren wir uns bei der Digitalisierung auf die Bestände der SBB. Mit anderen SPK-Einrichtungen stehen wir im Austausch und planen ausgewählte Bestände in das Digitalisierungsvorhaben zu integrieren. Mittelfristig sollen Metatdaten von relevanten Beständen der anderen SPK-Einrichtungen in der virtuellen Forschungsumgebung nachgewiesen werden.

Wir stehen mit weiteren Bibliotheken, Archiven und Museen, die zum Thema „koloniale Kontexte“ arbeiten, in einem engen Austausch. So planen wir bspw. ausgewählte digitalisierte Bestände sowie Metadaten existierender digitaler Sammlungen externer Einrichtungen in der virtuellen Forschungsumgebung nachzuweisen.

IN_CONTEXT baut ein Netzwerk auf, welches verschiedene Akteure einbezieht. Derzeit sind es maßgeblich drei Gruppen: Erstens sind dies Kulturerbeinrichtungen, mit denen wir uns über Bestände, Digitalisierung und Metadaten austauschen. Zweitens sind dies Wissenschaftler:innen mit Forschungsinteresse an den hier verwahrten Beständen. Mit diesen beiden Punkten sind ausdrücklich (auch) Akteure im Globalen Süden und indigene Gruppen angesprochen. Drittens sind dies auch die Herkunftsgesellschaften (Source Communities), welche die Bücher, Manuskripte produziert oder genutzt haben und/oder über die Wissen (beispielsweise in Form von Geschichte, Kulturbeschreibungen, Fotographien, Lexika etc.) gesammelt wurde. Ebenso streben wir einen Austausch mit BIPoC an. Wir fassen diese diverse Gruppen im Projekt als Communities of Interest zusammen. Darüber hinaus sind wir offen für Anfragen weiterer interessierter Akteure.

Ja, es ist ein zentrales Ziel von IN_CONTEXT kollaborativ mit Akteuren aus dem Globalen Süden zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit erstreckt sich über alle Projektphasen, d.h. die Auswahl von Digitalisaten, die Konzeption der virtuellen Forschungsumgebung sowie der digitalen Präsentation der Bestände. Wir folgen hiermit zunächst der Verpflichtung als öffentliche Einrichtung, unsere Bestände transparent darzustellen. Darüber hinaus wollen wir auch mit Vertreter:innen von Herkunftsgesellschaften in einen Austausch kommen, um Forschungsfragen und Interessen aus den Gebieten aufzunehmen, aus denen das Wissen, Praktiken und ggf. Objekte stammen.

Die Quellensammlung und die virtuelle Forschungsumgebung richten sich an ein internationales wissenschaftliches Publikum sowie die oben genannten Communities of Interest.

In erster Linie richtet sie sich an Wissenschaftler:innen der historischen Geistes- und Sozialwissenschaften. Speziell  die Bereiche der Geschichtswissenschaft, der Kolonial- und Globalgeschichte, der historischen Geographie und Soziologie, der Digital History, den Area Studies, der Sozial-und Kulturanthropologie, der (historischen) Literaturwissenschaft, der Provenienzforschung, der Mediengeschichte sowie aber auch der Bibliotheks- und Informationswissenschaft.

Die Digitalisierung von Beständen aus kolonialen Kontexten ist ein komplexer Prozess. Als öffentliche Einrichtung sind wir verpflichtet, im Rahmen von Open Access-Bestimmungen durch Fördereinrichtungen unsere Bestände einer international interessierten Öffentlichkeit transparent und frei zugänglich zu präsentieren. Das Bestreben Bestände unbeschränkt zugänglich zu machen, kann jedoch unter Umständen in einem Spannungsfeld zu ethischen Aspekten und Nutzungskonventionen von Herkunftsgesellschaften stehen. Dies gilt besonders für Bestände aus kolonialen Kontexten, welche z.B. rassistische Inhalte, Gewaltverherrlichung oder Praktiken und Wissen indigener Gesellschaften beschreiben. Vor diesem Hintergrund sind Sensibilisierung und die Kontextualisierung problematischer Bestände wichtige Elemente in der Entwicklung von Konzepten für die digitale Bereitstellung von Quellenmaterial. Das Projekt orientiert sich deshalb an den FAIR– und CARE-Grundsätzen im Umgang mit digitalem Kulturerbe und sucht die Kollaboration mit Communities of Interest, um im Spannungsfeld von Forschung, öffentlichem Interesse und Herkunftsgesellschaften eine verantwortungsvolle Bereitstellung von Beständen der SBB zu gewährleisten. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bekannte sich in ihrer Open Science-Erklärung vom November 2021 zur Einbeziehung dieser Grundsätze in der Zugänglichmachung digitaler Kulturdaten.

Es ist uns bewusst, dass dies ein anhaltender Prozess ist und die Bereitstellung von Beständen Anlass für weiterführende Diskussionen im Bereich Digitalisierung und Präsentation von kulturellem Erbe aus kolonialen Kontexten darstellt. Allein der Umfang der SBB-Bestände lässt eine Einzelfallprüfung durch das Projekt nicht zu. Wir freuen uns deshalb auf eine Kontaktaufnahme, sollte Sie Fragen oder Kritik zu den digitalisierten Beständen haben.

Ja, das Projekt organisiert mit der dbv-Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung und dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste einen Workshop vom 6.-7- November 2023 zum Thema „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“ an der Staatsbibliothek zu Berlin. Das Programm und Informationen zum Veranstaltungsort finden Sie hier.

Weitere Veranstaltungen sind für 2024 geplant.

Wir freuen uns über Ideen und Anregungen sowie Kritik. Das Projekt ist über in_context@sbb.spk-berlin.de erreichbar.

Aktuelle Informationen zu Aktivitäten und Themen des Projekts sind unter Aktuelles und Blog zu finden.

Aktuelles

Larissa Schmid im Interview mit dem SPK-Magazin