„We Are Our History“ zu Besuch an der Stabi Berlin

Vom 14.-16. Mai 2024 hieß das Projekt IN_CONTEXT unsere Kolleg:innen Jasdeep Singh und Devika des Projekts „We Are Our History“ (WAOH) der Bodleian Libraries (University of Oxford) an der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) willkommen. Das Projekt WAOH untersucht die Verbindungen der Bodleian Libraries mit der britischen Geschichte des Imperialismus und der Sklaverei. Neben den Sammlungen einzelner Bibliotheken der University of Oxford nimmt WOAH dabei besonders die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden der Bodleian Libraries und der Stadtgesellschaft in Oxford in den Blick. Aber auch Fragen zu Erwerbung und einer breiteren Sensibilisierung für die enge Verflechtung von Bibliotheken, Sammlungen und der Geschichte des Kolonialismus sind wichtige Aspekte in der Arbeit des Projekts. Der Austausch zwischen den Bodleian Libraries und der SBB wurde durch eine Förderung der Berlin University Alliance ermöglicht.

In Berlin wurden Jasdeep Singh und Devika durch Julia Maas, Leiterin der Benutzungsabteilung, im Haus Potsdamer Straße herzlich begrüßt. Besonders die historischen Bestände zu Südasien der Orientabteilung waren für WAOH von großem Interesse. Bereits vor Ihrer Anreise konnten sich die Kolleg:innen aus Oxford mit Christoph Rauch, Leiter der Orientabteilung, zur Geschichte der Abteilung und den Beständen aus kolonialen Kontexten austauschen. Die Kolleginnen Karin Druxes und Anett Krause des DFG-Projekts „Qalamos“ in Berlin ermöglichten die Recherche an Katalogen zu südasiatischen Handschriften in den Räumlichkeiten der SBB. Neben den historischen Dokumenten war es auch die sprachlichen Bezeichnungen und die Einordnung von Sammlungen, die das Interesse der WOAH-Kolleg:innen weckte.

Foto im Stabi Lab der SBB mit "We Are Our History" und "IN_CONTEXT"

v.l.: Devika, Larissa Schmid, Lars Müller, John Woitkowitz und Jasdeep Singh. Foto: Emma Lesburgeres

Über die Arbeit mit den Beständen der Staatsbibliothek hinaus, war es uns eine Freude die Kolleg:innen aus Oxford mit weiteren Mitarbeitenden der SBB sowie Kolleg:innen des Fachinformationsdiensts Sozial- und Kulturanthropologie an der HU Berlin, des NFDI4Memory, des Ada Lovelace Center for Digital Humanities (FU Berlin) und des Leibniz-Zentrums Moderner Orient ins Gespräch zu bringen. Im Rahmen des Stabi Labs wurden Themen rund um die Rolle von historischen Begriffen in der Katalogisierung und Klassifizierung von Beständen aus kolonialen Kontexten diskutiert. Welche Digitalisierungsprioritäten existieren und welche Bestände sind in digitalen Sammlungen vorrangig zugänglich? Wie lassen sich sensible Kulturobjekte in digitale Sammlung ethisch verantwortungsvoll präsentieren

Foto im Stabi Lab der SBB

Workshop „Stabi Lab Exchange mit ‚We Are Our History‘“, 15. Mai 2024. Foto: Emma Lesburgeres

In einem Digitalen Donnerstag am 16. Mai 2024 konnten Singh und Devika darüber hinaus Erfahrungen und Ergebnisse ihres Projekts in Oxford beim Digitalen Donnerstag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit über 100 Teilnehmenden teilen. Dabei berichteten sie zudem über ihre Eindrücke an der SBB und ihre Arbeit mit den Katalogen der Orientabteilung.

Ein kurzer Ausflug zu einem Überrest der Berliner Mauer am Potsdamer Platz bot dazu Gelegenheit die jüngere Geschichte der Stabi im geteilten Deutschland zu besprechen. Wie eng Geschichte und die Organisation von Wissen miteinander verbunden sind und bis in die Gegenwart überdauern, wurde hier ein weiteres Mal deutlich. Eine Führung durch das Haus Unter den Linden gab außerdem einen spannenden Blick hinter die Kulissen der Bibliothek.

Wir bedanken uns recht herzlich bei Jasdeep Singh und Devika für einen anregenden Besuch und die spannenden Diskussionen. Wir möchten uns ebenso bei unseren Kolleg:innen der SBB sowie der Berliner Kolleg:innen für deren Mitwirkung und Unterstützung bedanken.

Wir freuen uns darauf, die Arbeit des Projekts „We Are Our History“ und der Kolleg:innen an den Bodleian Libraries in Oxford bei einem Gegenbesuch im Juli kennenzulernen.

IN_CONTEXT am Dahlem Humanities Center der Freien Universität Berlin

Dr. Lars Müller und Dr. John Woitkowitz stellten das Projekt IN_CONTEXT: Colonial Histories and Digital Humanities in der Reihe „Forschung im Dialog“ am Dahlem Humanities Center am 24. April 2024 vor. Zusammen mit Forscher:innen aus verschiedenen Disziplinen diskutierten sie Themen um die Digitalisierung von Quellen aus kolonialen Kontexten und das Potential digitaler Analysemethoden in der historischen Forschung zur Geschichte des europäischen Kolonialismus.

Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.

Bericht zur Tagung „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“ erschienen

Der Bericht zur Tagung „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“ vom 6.-7. November 2023 an der Staatsbibliothek zu Berlin ist in der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie erschienen. Frau Elster schreibt in Ihrem Bericht:

Der … Workshop hat es geschafft, innerhalb der deutschsprachigen Bibliothekscommunity eine längst überfällige Debatte zum Umgang mit dem kolonialen Erbe zu initiieren.

Wir bedanken uns recht herzlich bei Christiane Elster für die freundliche und spannende Besprechung der Tagung.

 

Titelbild des Beitrags zum Interview von Larissa Schmid mit dem SPK-Magazin

Larissa Schmid im Interview mit dem SPK-Magazin

Das Magazin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz interviewte IN_CONTEXT Projektleiterin Larissa Schmid am 20. Februar 2024 zu den Plänen und Aktivitäten rund um das Thema Koloniale Kontexte in Bibliotheken. Frau Schmid diskutierte Fragen zur Digitalisierung von Beständen aus kolonialen Kontexten, die Rolle von Vertreter:innen des Globalen Südens sowie die erfolgreiche Tagung „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“ vom 6.-7- November 2023 an der Staatsbibliothek zu Berlin.

Das Interview im SPK-Magazin können Sie hier nachlesen.

Buchvorstellung – Welten der Sklaverei

Freitag, den 23. Februar 2024, fand in der Stabi, organisiert durch die Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin, die Buchvorstellung von „Welten der Sklaverei“, herausgegeben von Paulin Ismard, statt.

Ein internationales Team von 70 Fachhistoriker:innen ist für dieses gewaltige Buch der Geschichte der Sklaverei nachgegangen: ihren Anfängen in der Vorgeschichte, ihrer Etablierung in den alten Hochkulturen, der Erfindung des Sklavenhandels im antiken Griechenland, der Sklaverei als Selbstverständlichkeit im alten Rom, dem Umgang von Judentum, Christentum und Islam mit der Sklavenhaltung, dem allmählichen Übergang von Sklavenhaltung zu anderen Formen der Knechtschaft im europäischen Mittelalter, der Belebung des Sklavenhandels und der Sklavenhaltung mit der europäischen Kolonialisierung in Asien, Afrika und Amerika, der großen Zeit des transatlantischen Sklavenhandels bis weit ins 19. Jahrhundert. Und sie sparen dabei weder die Sklaverei in China, in Korea oder in der islamischen Welt aus.

Es diskutierten der Herausgeber Prof. Dr. Paulin Ismard (Universität Aix-Marseille), der Autor des Vorwortes Prof. Dr. Michael Zeuske (Bonn Center for Dependency and Slavery Studies der Universität Bonn), Prof. Dr. Claudia Jarzebowski (Bonn Center for Dependency and Slavery Studies der Universität Bonn), die Koordinatorin des Übersetzer:innenkollektives Dr. Esther von der Osten (FU Berlin) und der Verleger Edmund Jakoby (Verlag Jacoby & Stuart). Es wurde von Dr. Lars Müller (Stabi) moderiert.

Für weitere Informationen siehe: https://shop.jacobystuart.de/shop/item/9783964281722/welten-der-sklaverei#; https://www.jacobystuart.de/buecher-von-jacoby-stuart/neuerscheinungen/welten-der-sklaverei/).

 

 

Rezensionen siehe:

Claudia Jarzebowsky: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.02.2024, Nr. 38, S. 10 (https://fazarchiv.faz.net/faz-portal/document?uid=FAZ__FD0202402145010646446486).

 

Suzanne Krause in Andruck – das Magazin für Politische Literatur, 20.12.2021 (zur französischsprachigen Ausgabe) https://www.deutschlandfunk.de/paulin-ismard-hg-les-mondes-de-l-esclavage-une-histoire-compar-e-dlf-f06f2433-100.html

Digital Information Meeting: Research and Funding Opportunities in Germany

IN_CONTEXT unterstützt das digitale Treffen des Netzwerks Koloniale Kontexte in Deutschland mit einer Präsentation zu Recherche in Bibliotheken. Ziel des Treffens ist es, die vielfältigen und heterogenen strukturellen Kontexte in Deutschland vorzustellen, d. h. Föderalismus, private und öffentliche Förderorganisationen sowie einzelne Programme, die eine Projektbeteiligung oder Antragstellung durch internationale Projektpartner ermöglichen. Die Teilnehmer haben einerseits die Möglichkeit, Rechercheinstrumente in deutschen Institutionen, Museen und Archiven kennen zu lernen und andererseits einen Überblick über die deutsche Förderlandschaft zu erhalten.

Die Provenienz der Literatur – Gemeinsame Seminareinheit mit der FU Berlin

Die Debatte um Provenienz- und Restitutionsforschung hat in den Museen derzeit Konjunktur – allerdings ist das Feld weitaus größer und mancherorts wird bereits von einem „provenancial turn“ gesprochen. Während Disziplinen wie Kunstgeschichte, Ethnologie, Archäologie oder Buchwissenschaft Methoden der Provenienzforschung entwickelt haben, sind Provenienzfragen in der Literaturwissenschaft noch vergleichsweise neu. An der Freien Universität Berlin hat Andreas Schmid deshalb das Seminar „Die Provenienz der Literatur“ entwickelt.

2023 recherchierte das Projekt IN_CONTEXT: Colonial Histories and Digital Collections Bestände aus kolonialen Kontexten in den verschiedenen Abteilungen der Staatsbibliothek zu Berlin und identifizierte unter anderem eine Reihe von Nachlässen von Beamten, Militärangehörigen, Forschenden oder allgemein von Personen, die in die europäischen Kolonien reisten oder dort lebten. Die Stabi Berlin verwahrt unter anderem den Nachlass von August Klingenheben (1886-1967), einem Sprachwissenschaftler, der einen seiner Forschungsschwerpunkte auf die Vai-Sprache legte und zu diesem Zweck nach Liberia reiste. In seinem Nachlass finden sich neben allgemeinen Forschungsdokumenten auch Sammlungen von Sprichwörtern und Erzählungen der Vai, die in dieser Form nie veröffentlicht wurden.

Der Klingenheben Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin, Foto: L. Müller

In einer gemeinsamen Seminareinheit diskutierten wir den Umgang mit diesen Nachlassmaterialien. In einem ersten Teil beschäftigten wir uns mit den Erwerbs- und Sammlungskontexten von Klingenheben: Inwieweit kann hier von einem kolonialen Kontext gesprochen werden? Mit welchem Interesse sammelte Klingenheben? Wie war sein Verhältnis zu Informanten? In einem zweiten Teil konzentrierten wir uns auf die Erzählung „The Leopard’s Daughter“ und verglichen verschiedene später veröffentlichte Fassungen (1961, 1988, 2008). Welche Aspekte wurden unverändert übernommen? Was wurde jeweils verändert? Handelt es sich immer noch um „dieselbe“ Geschichte? Abschließend wurde die Frage diskutiert, wie heute mit dem Nachlass von Klingenheben umgegangen werden soll. In der Diskussion wurden vor allem die folgenden Themen angesprochen: Ist eine Digitalisierung ethisch geboten? Müssen weitere Daten zur Person Klingenheben, zu den Informanten oder zum Sammlungskontext hinzugefügt werden? Sollen Personen in Liberia konsultiert werden, um einen angemessenen Umgang mit den Vai-Erzählungen zu finden?

 

Seminar: Die Provenienz der Literatur. Die Überlieferung von August Klingenheben, FU Berlin/Stabi Berlin, 11.01.2024, Andreas Schmid, Lars Müller.

 

Weiterführende Literatur

Irene Albers, Andreas Schmid: Literatur als koloniale Beute? Für eine philologische Provenienzforschung, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geisteswissenschaft 97 (2023), 1003–1018. https://doi.org/10.1007/s41245-023-00222-9.

Fatima Massaquoi: The Leopard‘s Daughter. A Folk Tale from Liberia translated from the VAI Language, Illustrations by Martha Burnham Humphrey, Boston 1961.

Ernst Dammann: August Klingenheben (1886–1967), in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 117 (1967) 2, 211–214.

 

IN_CONTEXT Kollaboration mit Dean College (USA) angelaufen

Im Rahmen der Initiative „Exploring History and Digital Methods“ des Stabi-Projekts IN_CONTEXT und des Dean College in Franklin, Massachusetts (USA) hielt John Woitkowitz am 13. und 15. November 2023 zwei virtuelle Gastseminare. Mit Studierenden des Seminars HIS 425 Digital History und Professor David B. Dennis diskutierte Dr. John Woitkowitz über die Rolle digitalisierter Bestände sowie über Fragen zur Erstellung und Kuratierung von Metadaten und deren Auswirkung auf die Forschungspraxis in den Geschichtswissenschaften. Wie historische Kataloge moderne Sammlungen prägen, was bei der digitalen Bereitstellung von Quellen kritisch zu reflektieren ist und wie internationale Empfehlungen einen verantwortungsvolleren Umgang mit Metadaten ermöglichen sollen, stand dabei besonders im Fokus des ersten Seminars.

Students at Dean College during XML/TEI seminar

Studierende des Dean College während des XML/TEI Seminars (Foto: David B. Dennis)

Das Praxis-Seminar am 15. November stand im Zeichen der Kodierung historischer Quellen zur Kolonialgeschichte mit Hilfe der XML/TEI-P5 Richtlinien. Das Seminar brachte viele Studierende erstmals in Kontakt mit den Möglichkeiten digitaler Geschichtswissenschaft. Studierende wählten eigenständig Quellen, beispielsweise, zur Geschichte des britischen Imperialismus oder indigener Gruppen in Alaska aus der Children’s Encyclopedia (1908-1913) der Kinder- und Jugendbuchabteilung in den Digitalisierten Sammlungen der Stabi aus. Mit Hilfe eines grundlegenden TEI-Vokabulars kodieren und zeichnen sie nun ihre Quellen aus. Zusätzlich zur XML/TEI-Auszeichnung der Quellen erstellen die Studierenden eine Bibliografie zu aktueller Forschungsliteratur mit Bezug zu ihren Quellendokumenten sowie eine „Editorial Note“, in welcher sie die Dokumente historisch einordnen. Besonders Themen zu ethischen Fragen wie Autorenschaft, die Vergabe von historischen Ortsnamen oder die Klassifikation von Quellen trafen im Rahmen des Praxis-Seminars auf großes Interesse.

Nach einer Prüfung durch Professor Dennis und Dr. John Woitkowitz werden die Editorial Notes, die Bibliografien und die XML/TEI-Auszeichnungen der Studierenden nun im „Citizen History Sourcebook“ des New England Journal of History veröffentlicht und als Forschungsdaten zur Nachnutzung zur Verfügung gestellt. Eine Präsentation der Beiträge in Form einer virtuellen Ausstellung ist geplant. Darüber hinaus freuen wir uns Professor Dennis im nächsten Jahr an der Stabi für einen Besuch begrüßen zu dürfen, wo er über Forschung und Lehre in den digitalen Geisteswissenschaften in den USA berichten wird.

Auch im Namen von Professor Dennis sei an dieser Stelle Dr. Nicole Eichenberger ganz herzlich für ihre Unterstützung in der Konzeption des XML/TEI-Workshops gedankt.

Mehr Informationen zur Initiative „Exploring History and Digital Methods“ finden Sie hier.

Workshop „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“

Ein Konferenzbericht von Christine Kühn

Am 6./7. November 2023 diskutierten rund 60 Bibliotheksmitarbeitende und Forscher:innen aus mehr als 16 Einrichtungen an der Staatsbibliothek zu Berlin über koloniale Kontexte in Bibliotheken. Erstmals wurden in einem umfangreichen Programm unterschiedlichste Fragestellungen und Lösungsansätze zusammengetragen. Als bibliotheksspezifische Handlungsfelder wurden neben der Provenienzforschung zu Sammlungen, die Dekolonisierung von Bibliotheken und deren Umgang mit Metadaten, die Frage der Aneignung immateriellen Kulturerbes, ethische und rechtliche Fragen bei sensiblen Inhalten und schließlich Digitalisierung und Zugang zu Informationen für Communities of Interest identifiziert. Bei diesem ersten zentralen Treffen kamen auch Vertreter:innen aus Kamerun, Kenia, Liberia, Namibia und Sri Lanka über Videobotschaften zu Wort. Organisiert wurde die Veranstaltung von der dbv-Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung und dem Projekt IN_CONTEXT in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK).

Die Tagung wurde mit Grußworten von Hermann Parzinger (Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz), Larissa Förster (DZK), Michaela Scheibe und Larissa Schmid (Staatsbibliothek zu Berlin) im Theodor-Fontane-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin eröffnet. In den ersten beiden Panels lag der Fokus der Beiträge auf Erwerbungskontexten und Objektgeschichten. Dabei ging es nicht nur um Objekte aus Unrechtskontexten, sondern genauso um die Fragen, wann die Provenienz eines Objekts letztendlich geklärt ist, ob bei Erwerbungsreisen in bestimmten Zusammenhängen trotz Kaufverträgen doch Fragen von kolonialen Machtverhältnissen eine Rolle spielen. Im Anschluss an den Vortrag von Ralf Kramer von der Bayrischen Staatsbibliothek wurde kritisch diskutiert, was letztendlich das Ziel von Forschung zu kolonialen Provenienzen sein kann, um andere Lösungen für Objekte als Dauerleihgaben an die Communities of Interest oder anstelle einer „digitalen Restitution“ (Übergabe von Datenträgern mit Digitalisaten) zu finden.

Hermann Parzinger im Gespräch mit Generaldirektor Achim Bonte, Larissa Schmid und Michaela Scheibe (Bild: Hagen Immel)

Am Nachmittag des ersten Workshoptages ging es mit Panels zu ethischen und rassismuskritischen Perspektiven weiter. Dabei warf Julia Zenker von der UB der Humboldt-Universität und vom FID Sozial- und Kulturanthropologie z. B. die Frage auf, ob bestimmte Inhalte und Objekte digitalisiert werden dürfen und wer diese Entscheidung letzten Endes fällt. Zum einen kann Unklarheit darüber bestehen, ob die Abbildungen und Texte kulturell oder religiös sensibel sind, zum anderen ist es nicht gegeben, dass die Bereitstellung des Digitalisats im Internet einen Zugang für Communities of Interest bietet – es kann nicht davon ausgegangen werden, dass an allen Orten die notwendige Infrastruktur zum Abrufen der Inhalte breitflächig verfügbar sind. Simon Cubelic vom Centre for Asian and Transcultural Studies der Universität Heidelberg wies in seinem Vortrag daraufhin, dass es außerdem wichtig ist, die richtigen Ansprechpartner:innen für mögliche Rückgaben bzw. Restitutionen in den jeweiligen Communities of Interest zu finden: die Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen statt staatlichen Akteuer:innen kann sinnvoll sein. Des Weiteren fragte Anne Peiter von der Universität von La Réunion in ihrem Beitrag, wie Bilder aus kolonialen Kontexten gezeigt werden können, ohne dass der koloniale Blick dabei reproduziert wird. Das Panel zu rassismuskritischen Perspektiven weitete den Blick vom direkten Umgang mit den Objekten auf die breitere bibliothekarische Praxis. Moritz Strickert von der UB der Humboldt-Universität und dem FID Sozial- und Kulturanthropologie stellte die Vokabulararbeit der AG Thesauri des Netzwerks Koloniale Kontexte, bei der verschiedene existierende Thesauri in Beziehung gesetzt werden, vor und Birgit Kramreither und Birgit Athumani Hango von der Universitätsbibliothek Wien und Maike Mewes und Jantje Bruns von der Bibliothek des Museums am Rothenbaum, einer One-Person-Library, berichteten über Dekolonialisierungsprozesse z. B. in Bezug auf den Bestand und dessen Kontextualisierung gegenüber Nutzer:innen, in Form eines Statements, QR-Codes mit zusätzlichen Informationen und rassismuskritischen Führungen.

Am Dienstag begann der Workshoptag mit einem Panel zu kolonialen Sammlungspraktiken: Wie koloniale Wissensstrukturen in kartographischen und bibliothekarischen Sammlungen des Perthes Verlages verhaftet sind und den heutigen Zugang zu Archivalien und Literatur bestimmen, stand im Zentrum des Beitrages von Petra Weigel von der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt. Der darauf folgende Vortrag gab Einblicke in die kolonialen Belastungen der christlichen Missionsliteratur und die Darstellungen von Communities of Interest im Kontrast zu den christlichen Missionar:innen bei mikado, der Bibliothek und Dokumentationsstelle des Internationalen Katholischen Missionswerk missio e. V. Danach verlagerte sich die Diskussion im Vortrag von Irene Albers und Andreas Schmid von der Freien Universität Berlin zu Sammlungspraktiken auf die philologische Ebene: Inwieweit werden Erzählungen aus kolonisierten Ländern anonymisiert und in Anthologien wiederaufbereitet, bevor sie in Märchensammlungen für ein deutsches Publikum kommerziell verwertet werden? Natürlich waren ebenfalls die Bestände der Stabi Berlin Thema, und zwar im Vortrag zur Ernst Dammann-Sammlung der Orientabteilung von Meliné Pehlivanian.

Im Panel „Digitalisierung“ diskutierte Elke Brehm, wie ethnographisches Filmmaterial, was ursprünglich zu Forschungszwecken aufgenommen wurde, unter Berücksichtigung von ethischen und nicht nur juristischen Fragestellungen außerhalb von Forschungszwecken genutzt werden kann. Maria Hermes-Wladarsch stellte das Projekt Digitale Sammlung Deutscher Kolonialismus vor. Wie sich die Bestandsauswahl abhängig von der Definition von Kolonialismus gestalten kann und wie auf diese Weise bibliothekarische Sammlungspraxis immer Ausdruck der aktuellen Situation ist, wurde im Anschluss diskutiert.

Im Panel zu Metadaten und Präsentation wurde die Neutralität von Metadaten diskutiert – schließlich werden sie immer von denen produziert, die sie anlegen. Außerdem gewährte Christoph Rauch von der Staatsbibliothek zu Berlin Einblick in aktuelle Entwicklungen im Portal Qalamos zu Provenienzforschung, wir erfuhren welche Rolle FAIR- und CARE-Prinzipien und die Entwicklung von Personas für das Portal Collections from Colonial Contexts der DDB spielten und überlegten, warum der „Dresdner“ Maya-Codex eigentlich Dresden zugeordnet wird und wie sich die Zugänglichkeit für lateinamerikanische Communities gestaltet, wenn der Codex nur auf einer Webseite in deutscher und englischer Sprache präsentiert wird.

Unterbrochen wurden die Vorträge und lebhaften Diskussionen durch Impulse und Interventionen durch Aufnahmen von Mutanu Kyany’a aus Kenia, Debey Sayndee aus Liberia, Naazima Kamardeen aus Sri Lanka, Albert Gouffo aus Kamerun und Werner Hillebrecht aus Namibia – Kolleg:innen aus Communites of Interest. Mutanu Kyany’a betonte, dass Zusammenarbeit notwendig ist, nicht nur, um Communities of Interest Zugang zu ihren Kulturgütern sowie zu Informationen über ihre Kulturen zu geben, sondern um wirkliche Transformationen anzustoßen. Naazima Kamardeen äußerte Unverständnis gegenüber der Willkür von Restitutionsentscheidungen der aufbewahrenden Gesellschaften und der damit verbundenen Ungleichheit zwischen Akteur:innen und kritisierte den Begriff des „Globalen Südens“, dessen Inhalt besser durch „globale Mehrheit“ getroffen wird. Albert Gouffo drückte den Wunsch nach gemeinsamen Bibliographien oder Sammlungen gemeinsamen Wissens zwischen Kamerun und Deutschland aus.

Albert Gouffo spricht per Videobotschaft zu den Teilnehmenden (Bild: Christine Kühn)

Eine der ursprünglichen Motivationen des Workshops, nämlich das gemeinsame Nachdenken über einen Leitfaden für Bibliotheken und ihren Umgang mit kolonialen Kontexten, inspiriert vom Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten des Deutschen Museumsbunds, den Museen bereits nutzen, wurde in Form von Pinnwänden mit Fragen an die Teilnehmenden aufgegriffen. So gab es in den Pausen immer wieder Raum für Diskussion, Austausch und Beteiligung. Im letzten Zeitslot des Workshops wurden die Antworten und Kommentare präsentiert und zur Diskussion gestellt.

Michaela Scheibe und Regine Dehnel stellen die Ergebnisse des Pinnwand-Brainstormings vor (Bild: Christine Kühn)

Das detaillierte Programm mit den Titeln der einzelnen Vorträge und den Namen und Institutionen der Teilnehmenden ist hier einsehbar.

Zum weiteren Austausch wurde zur Teilnahme an den Treffen des Netzwerks Koloniale Kontexte und des Netzwerks Decolonize The Library eingeladen.

Wir hoffen, dass der Workshop als Initialzündung für notwendige weitere Schritte wie kooperativ zu erarbeitende Leitlinien wirken wird. Im nächsten Schritt hoffen wir, den Dialog zwischen Bibliotheken und anderen Kulturerbe-Einrichtungen, Bibliothekspraktikern und Wissenschaftler:innen sowie Bibliotheken und Communities of Interest fortzusetzen. Als nächste Vorhaben sind ein o-bib-Themenheft 2024 und eine internationale Konferenz geplant.

 

 

 

 

Banner IN_CONTEXT: Colonial Histories and Digital Collections

Project presentation at Leibniz Zentrum Moderner Orient

Creating digital access to historical sources: A joint project presentation

In this presentation, Christoph Rauch, will introduce the online portal Qalamos, which provides direct access to metadata and digitised copies of Oriental manuscript collections in Germany. The talk gives an overview of workflows, standardization processes (e.g. authority data, metadata) and discusses challenges of developing a platform in collaboration with various partners.

Larissa Schmid will be presenting the project “IN_CONTEXT: Colonial Histories and Digital Collections” which seeks to secure funding for the digitisation of historical colonial sources and for devising a virtual platform for the study of colonial histories. Please find more details about the talk and the venue here.

 

Event details:

Tuesday, 26 September 2023
2-3:30pm

Leibniz-Zentrum Moderner Orient, Kirchweg 33, 14129 Berlin